Der Werdegang eines kleinen Gewerbebetriebes.

Mein Großvater Wilhelm Boose machte sich 1900 in Münder als Bäcker selbständig. Es stellte sich aber bald heraus, dass 13 (dreizehn!) Bäckereien in Münder zuviel waren. Zur selben Zeit, 1907, war dem Eigentümer Wilhem Beißner, Hofstelle Nr. 14 in Höfingen das Grundstück zu klein und die Ackerfläche zu wenig. Er verkaufte Haus und Land und zog nach Münder. Das Grundstück mit Haus kauften meine Großeltern. Das Haus war ein Bauernhaus mit Konzession für eine Krugwirtschaft.

Ein Glücksfall war es, dass gerade jetzt Frau Kasten ihren kleinen Laden schließen wollte und meine Großeltern diesen Laden, wie damals üblich als "Stubenladen" einrichten konnten. Es war ein schwerer Konkurrenzkampf weil zwei Händler aus Hameln wöchentlich ihre Ware anboten und Höfingen damals ein ganz kleines Dorf mit m.E. 230 (?) Einwohnern war.

Nun musste noch der Backofen gebaut werden. Es war ein Altdeutscher, auch Brustofen genannt. Ganz aus Schamotte gemauert und mit viel Sand gefüllt. Geheizt wurde mit Buchenholzscheiten und Briketts.

Weil es in Höfingen noch keinen E.Strom gab, gab es auch keine Maschinen, so dass man nur Backtröge und Tische für die Bäckerei gebrauchte. In Höfingen buken noch viele Leute ihr Brot selber. Es kamen aber bald Kunden aus Bensen und Haddessen. Trotzdem musste mein Großvater mit seinem Bäckerwagen bis zu seiner "alten Kundschaft" in Flegessen fahren. Wegen des Durchfahrens kriegte er in Pötzen auch bald Kundschaft. Wilh. Boose war gebürtiger Hamelner und kannte dort viele Leute. Sehr viele wurden von ihm mit Brot und Backwaren beliefert.
Auf dem Rückweg brachte er Ware für den Laden aus der "Kolonialwarengroßhandlung I.G.Bollmeier" mit.

Zwei Anekdoten : 1908. Eine Frau aus Bensen fragt eine Höfingerin: Ihr habt ja jetzt auch einen Bäcker in Höfingen, was sind das für Leute ? Antwort: Dä hebbet nix ass Schulden unn lütje Kinner !!!
Nachbar Heinrich Schaper (geb. 1866) war ein kluger Mann, er konnte gut rechnen. Wohl deswegen sagte er immer wieder zu meinem Großvater: Boouse, Boouse das Haus können Sie nicht halten !! Aber an mir soll es nicht liegen ich kommen jeden Abend und trinke meinen "Halben". Das bringt Umsatz !!!

Die Höfinger Familien, vor allem die Hofstellen waren überwiegend "Selbstversorger". Zugekauft wurde nur das Notwendige. Somit ließ sich mit dem Laden nicht viel verdienen. Um auch z.T. Selbstversorger zu sein, kauften meine Großeltern 66 a Ackerland. Dieses Land wurde je zur Hälfte mit Kartoffeln und Roggen bestellt. Um noch eine kleine Nebeneinkunft zu haben wurde eine Wohnung an das Ehepaar Wilh. (geb. 1878) und Dora Adam vermietet.

Die Großhandelsfirma Vetter riet meinen Großeltern Eisen- und Haushaltswaren ins Sortiment aufzunehmen. So wurde von da an von Petroleum über Kuhketten, Stricke, Haushaltsware, Salzheringe, Mundharmonika bis hin zu Nährmittel und Kolonialwaren alles verkauft. Die groben Waren lagerten auf der Diele. (Die Fa. Vetter Hildesheim lieferte die bestellte Ware in große Holzkisten verpackt per Bahn nach Fischbeck. Von dort mussten die Kisten per Pferdefuhrwerk abgeholt werden.) Nach einiger Zeit lieferte auch die chemische Fabrik Dr. Koch, Hameln "Drogen Artikel", so dass BOOSEN, wie man damals sagte, ein volles Sortiment führten. (Wie die Drugstores in USA.) Übrigens, Ware, Bier Brause, Zigarren usw. musste bar bezahlt werden. Dann gab es Skonto. Wer nicht bar bezahlen konnte war nicht gut angesehen, bis hin das er keine Ware bekam.

Weil die Höfinger Männer, die Frauen damals schon gar nicht, keine Wirtshausgänger waren, war das mit der Gaststube auch nicht so dolle!!! Gäste waren Durchreisende, und "Durstige" aus den oberen Dörfern, die auf der Heimfahrt von Hess-Oldendorf oder Hameln waren. Gut angenommen wurde die Gaststube von den jungen Burschen. Sonnabends war immer Treff bei Boosen. Jeder bestellte sich was es zu Hause nicht gab. Je nach Geschmack: Hefeteile oder den gutschmeckenden Bienenstich, oder eingelegte Heringe, eine Spezialität von Johanne Boose. Das Geschäft fing an zu laufen, bis der erste Weltkrieg begann und mein Großvater 1915 eingezogen wurde. Das war der erste Knick !!!!

Die Zeit während des Krieges war für alle sehr schwer. Das Geschäftsleben kam fast zum Erliegen. Von meiner Großmutter weiß ich, dass sich die Nachbarn Schaper, Werner, Peter, Kohlwig, Diekmann, Lange und Boose gegenseitig sehr geholfen haben. Insbesondere als eine Grippewelle Höfingen heimgesucht hatte. Wilhelm Boose kam 1918 gesund aus dem Krieg zurück. Es kam zu einem Neuanfang. Aber die Nachkriegswirren und die beginnende Inflation und hohe Arbeitslosigkeit machten alles sehr schwierig.


Die offizielle Postkarte von 1925
Wilhelm Boose Gastwirtschaft und Bäckerei
Höfingen Post: Fischbeck a.d. Weser

Am Freitag dem 13. Mai 1927 (schwarzer Freitag) kam es zu dem Börsenkrach. Es dauerte noch einige Zeit, dann schöpfte auch bei uns man wieder Hoffnung. Mein Onkel Willi , er war Zimmermann, baute mit Kollegen den Kornboden zum Saal aus. Jetzt konnten die Höfinger Turner an Geräten turnen. Die Feuerwehr konnte ihren Ball dort feiern. Die Molkereiversammlungen und Süntelversammlungen sowie Theateraufführugen und Familienfeiern fanden nun auf dem Saal statt.


Wegen der Gaststube hatten wir schon 1930 ein Radio. Geliefert vom Klempnermeister Wilh. Oberheide, Pötzen. Die Burschen freuten sich über die Musik und Heinr. Schaper kam wegen der Nachrichten und der Politik. In den Jahren fanden mehrere Wahlen bis hin zu der Reichstagswahl statt!!!

Schon seit längerer Zeit arbeitete mein Vater Fritz Boose, er hatte bei seinem Onkel Bäckermeister Fritz Lücke das Bäckerhandwerk erlernt, auch im väterlichen Betrieb . Weil die Arbeit immer mehr wurde, kam noch ein Bäckergeselle, der legendere "Fritze Fumm" der Schwarm aller Höfinger Mädchen hinzu. Mein Vater heiratete 1933 seine Lina Stummeier. 1934 wurde ich geboren. 1935 starb meine Mutter. Vom Jahre 1934 bis zu seiner Einberufung 1941 (1940 hatte mein Vater wiedergeheiratet) war er Posthalter und Postzusteller in Höfingen. Das öffentliche Telefon war auch bei uns.

Bei einem Umbau 1934 wurde auch ein Fremdenzimmer eingerichtet. Die geschäftliche Entwicklung verlief so gut, dass sich Boosen 1939 ein gebrauchtes Auto, einen Opel Olympia kaufen konnten. Mit dem Auto wurde die Hamelner Kundschaft bedient. ( Dieses Auto hat den Krieg über aufgebockt in der Garage gestanden. Die Reifen waren beschlagnahmt. 1945 wollten ehemalige russische Gefangene das Auto rauben. Durch das energische Einschreiten von Frau Kamberger und der anderen Frauen und der zufällig vorbeikommenden US Streife wurde das verhindert. Danach wurde das Auto von der Besatzungsmacht beschlagnahmt und dem Arzt Dr. Fondel in Rinteln zur Verfügung gestellt. Nach gut einem Jahr bekamen wir das Auto zurück. Die Vergütung war wertlose Reichsmark. Dieses Auto hatte danach noch andere Höfinger Besitzer!!!! )


Ein Bild aus dem Jahre 1942/43: Fritz Boose (auf Heimaturlaub), Lina Boose, Irene Behn (aus Olscheschowitz in Galizien), Oma Johanne, Horst Boose und Charles, der Franzose aus Paris (von rechts). Das war die Kriegsbelegschaft!

Alle Hoffnungen wurden zunichte gemacht als im September 1939 der zweite Weltkrieg begann. Mein Vater musste in den Krieg. Jetzt begann alles wieder von vorne, aber viel schlimmer. Mein Großvater ist vor Kummer und Gram über die Entwicklung 1942 gestorben. Nach dem Tode meines Großvaters trat mein Vater sein Erbe an. Weil aber Krieg war, ließ sich der Backbetrieb nur sehr mühsam aufrecht erhalten. Erst halfen meiner Mutter Soldaten aus der Genesenkompanie in Hameln; später war es Charles der Franzose aus Paris. Als es gar nicht mehr ging, wurden wir von der Bäckerei Borcherding, Hess-Oldendorf beliefert. Laden und Gaststube machten weniger Sorgen weil es ja kaum etwas zu verkaufen gab. 1945 kam mein Vater auf Krücken aus dem Lazarett Donaueschingen nach Haus. Als seine Verwundung fast verheilt war ging es an die Arbeit, davon gab es genug, denn Höfingen -auch die anderen Dörfer- war durch die Evakuierten und die Flüchtlinge wesentlich größer geworden. Und der Hunger war groß. Brot war für viele die Hauptnahrung. Wir haben an manchen Tagen drei Ofen Brot gebacken. (Ein Ofen 45 6Pfunder (3kg)). In der Backstube arbeiteten zeitweise vier Mann und der Chef. Onkel Christian Peter fuhr das Brot in die Nachbardörfer. Leider war die Bezahlung die wertlose Reichsmark.


Als 1948 die DM eingeführt wurde machte alles wieder Spaß. Es ging kontinuierlich aufwärts. Die Gaststube war gut besucht, es gab einen richtigen Nachholbedarf!!! Zur Fußball-WM 1954 hatten wir den ersten Fernseher. Wenn am Sonnabend "Peter Frankenfeld" oder später "H.J.Kuhlenkampf" im Programm waren, dann war die Bude gerappelt voll. Es stellte sich aber immer mehr heraus , dass die Konstellation Gastwirtschaft und Bäckerei nicht gut war. Im Spätsommer 1958 wurde die Gaststube geschlossen. Die Räume wurden zur Erweiterung des Ladens gebraucht. Erst wurde der Laden vergrößert und später zum EDEKA Selbstbedienungsladen ausgebaut.


Ich war inzwischen verheiratet und seit 1958 Bäckermeister. 1961 habe ich die Bäckerei gepachtet. Dank der Mithilfe meiner Frau Margot und meiner Eltern und den sehr guten Mitarbeitern Günter (Carlo) und Wolfgang (Charlie) haben wir Qualität produziert und guten Umsatz gemacht. Spezialitäten waren das Rallye-Brot und der Butter-Sahne (Schmand ) Kuchen. Mein Vater hat die Touren gefahren, das war eine große Hilfe für mich. Meine Großmutter hat die gute Entwicklung noch miterlebt. Sie ist 1966 im Alter von 92 Jahren gestorben.

Mein Vater hatte den alten Brustofen schon durch einen modernen Umwälzofen ersetzt. Der steigende Umsatz zwang mich aber einen größeren (4 Etagen 32 qm Backfläche) Umwälzofen zu kaufen. Neue Maschinen mussten auch angeschafft werden. Es gab jetzt die Eberhardt Knetmaschine, die Schäferlein Brotwirkmaschine, die Rollfix Ausrollmachine, die Rego Planeten Anschlagmaschine sowie den Backfroster und die notwendigen Kleingeräte. Boosen hatten seit 1953 wieder ein Lieferauto. Erst einen DKW und später einen Opel / Combo. Übrigens als Höfingen 1923 E. Strom kriegte, kaufte mein Großvater die erste Knetmaschine. Das war eine große Arbeitsentlastung.

Bei einer Qualitätsprüfung im Jahre 1968 erhielten wir 30 Punkte von 30 möglichen Punkten (Note: Sehr gut). Leider musste Günter aus gesundheitlichen Gründen den Beruf aufgeben und ich musste 1971 den Laden übernehmen. Nun war nur Wolfgang in der Backstube. Er hat gebacken was er am besten konnte, alles Andere haben wir uns von "Schäfer" zuliefern lassen. Dank des Einsatzes meiner Frau Margot und unserer "Waltraud" Langer und meiner Mutter haben wir auch im Laden gute Umsätze gemacht. Es war nicht immer leicht. Die Arbeitswoche war lang. Trotzdem hat es Spaß gemacht. Urlaub konnten wir nur machen, wenn 'unser Jens' (wie Oma immer sagte), Semesterferien hatte und uns vertreten hat.


Der Konkurrenzkampf, bedingt durch die Großmärkte (Allkauf), wurde immer härter. Hinzu kam noch der Tod meiner Frau Margot im Jahre 1983. Durch die engagierte Mitarbeit meiner jetzigen Frau Wilma konnte ich das Geschäft bei stark sinkenden Umsätzen bis September 1991 weiterführen. Es hatte keinen Sinn mehr, das Geschäft BOOSE wurde nach 91 Jahren bewegter Geschichte geschlossen.
PS: Die Gewerbeabmeldung hat mich auch noch DM 25,00 gekostet.
Aufgeschrieben am 3. Februar 2005 von Horst Boose mit Unterstützung von Jürgen Schaper.




So sahen früher die Läden aus, auch der von Boose in Höfingen.